3.7. Heilige Schriften sichern die Identität

Im gelobten Land Kanaan angekommen, wurden die ehemaligen Nomaden nach und nach sesshaft und bauten sich eine Existenz auf. Mit der Zeit entwickelte sich ein Staatssystem. In der Hauptstadt Jerusalem bauten sie einen Tempel (1 Kön 5-9), der als würdiger Aufbewahrungsort für die Bundeslade mit den Steintafeln, in die die 10 Gebote gemeißelt waren, dienen sollte. Das wurde von Anfang an kritisch gesehen. Denn der Gott Israels ist eigentlich ein Gott, der mitgeht und unterwegs ist mit den Menschen. Man kann ihn nicht exklusiv in einem Haus verorten, das Menschen gemacht haben. Dennoch entwickelte sich der Tempel als Ort, an dem die Gegenwart Gottes verehrt wurde. Deshalb brachten ihm die Israeliten Brandopfer dar, wie dies in vielen Religionen zur damaligen Zeit üblich war. Die Identität des Volkes Israel wurde immer mehr mit diesem Tempelkult verknüpft.

Doch dieses kleine und gerade deshalb von Gott auserwählte Volk, drohte seine Identität zu verlieren, als es zum Spielball der mächtigen Völker ringsum wurde. Um das Jahr 597 v.Chr. besetzen die Babylonier das Land, zerstören den Tempel und deportieren die jungen Leute und die Elite nach Babylon. Die Babylonier waren damals eine Hochkultur mit eigener Religion. Doch in deren Tempeln wurde nicht der Garant der Freiheit verehrt – wie sie in den Steintafeln in Jerusalem verbrieft waren –, sondern Götzenstatuen. Mit Brandopfern versuchten die Menschen, diese Götzen zu beeinflussen und gnädig zu stimmen. Wirtschaftlich ging es den Israeliten in Babylon gar nicht mal so schlecht. Allerdings bestand die Gefahr, dass sie nach und nach auch die Lebensweise und die Religion der Babylonier annahmen und so ihre eigene Identität verlieren.

Deshalb wurden die alten Erzählungen von der Befreiung aus Ägypten aufgeschrieben. Synagogen entstanden als Alternative zum Tempel. Dort entwickelte sich nun statt des Opferkultes eine Art Wortgottesdienst. Die Erinnerungen an das, was Gott früher für sein Volk getan hatte, wurden wach gehalten – verbunden mit der Hoffnung, dass er ihnen auch künftig die Freiheit schenken wird. Gebete, Lieder, Psalmen und Erzählungen wurden für die Feier dieses Wortgottesdienstes aufgeschrieben. Erste Texte der Bibel entstanden, um die Identität des Volkes Israel und die Hoffnung auf Freiheit wach zu halten. 

Und diese Hoffnung erfüllte sich. Als die Perser an die Macht kamen, konnten die Israeliten wieder in ihr Land zurück. Erneut war ein Neuanfang möglich. Später bauten sie ihren Tempel wieder auf. Doch nun war auch der Synagogengottesdienst paralleler Bestandteil des jüdischen Glaubens.

Der folgende Bibeltext aus dem Buch des Propheten Nehemia erzählt von dem Neuanfang nach dem Babylonischen Exil. Das Volk Israel ist heimgekehrt und besinnt sich auf den Bund, den Gott vor langer Zeit mit den Vorfahren geschlossen hatte. Dieser Bund gilt zu allen Zeiten. Er gilt auch ihnen.

"Das ganze Volk versammelte sich […] und bat den Schriftgelehrten Esra, das Buch mit dem Gesetz des Mose zu holen, das der Herr den Israeliten vorgeschrieben hat.[…] [So] brachte der Priester Esra das Gesetz vor die Versammlung; zu ihr gehörten die Männer und die Frauen und alle, die das Gesetz verstehen konnten. Vom frühen Morgen bis zum Mittag las Esra auf dem Platz vor dem Wassertor den Männern und Frauen und denen, die es verstehen konnten, das Gesetz vor. Das ganze Volk lauschte auf das Buch des Gesetzes.
Der Schriftgelehrte Esra stand auf einer Kanzel aus Holz, die man eigens dafür errichtet hatte. […] Esra öffnete das Buch vor aller Augen; denn er stand höher als das versammelte Volk. Als er das Buch aufschlug, erhoben sich alle.
Dann pries Esra den Herrn, den großen Gott; darauf antworteten alle mit erhobenen Händen: Amen, amen! Sie verneigten sich, warfen sich vor dem Herrn nieder, mit dem Gesicht zur Erde.
Die Leviten […] erklärten dem Volk das Gesetz; die Leute blieben auf ihrem Platz.
Man las aus dem Buch, dem Gesetz Gottes, in Abschnitten vor und gab dazu Erklärungen, so dass die Leute das Vorgelesene verstehen konnten.
Der Statthalter Nehemia, der Priester und Schriftgelehrte Esra und die Leviten, die das Volk unterwiesen, sagten dann zum ganzen Volk: […] Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke. […]"
[Neh 8, 1-12]

Unterbrechung:

Lies den Bibeltext noch einmal und stell dir das Geschehen vor wie in einem Film. Du kennen das ja schon. Gerne kannst du die Impulse aus Kapitel 1 zu Hilfe nehmen.

Vielleicht erinnert dich dieser Bibeltext an unseren heutigen Wortgottesdienst. Die Beschreibung der Versammlung des Volkes hat die Gestaltung des Synagogengottesdienstes in späteren Zeiten beeinflusst. Und später – nach der Auferstehung Jesu – verschmolz dieser Synagogengottesdienst mit der Feier des Brotbrechens der ersten Christen. So ist im Laufe der Zeit die Form unserer heutigen Eucharistiefeier entstanden. 







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