5.4. Verborgene Erinnerungen werden lebendig in Brot und Wein


Ähnlich wie mit der Rose oder dem Tisch ist es auch mit den Zeichen von Brot und Wein. Wer die Geschichte, von denen diese Zeichen erzählen, nicht kennt, wird die innere Bedeutung von Brot und Wein nicht erahnen. Doch wem die Geschichte zu Herzen geht, dem wird sie beim Anblick von Brot und Wein in Verbindung mit den deutenden Worten des Priesters zur Realität, die bis in die Gegenwart reicht. Lesen Sie zunächst einige Auszüge aus der Geschichte, die in Brot und Wein verborgen ist:

Als die Stunde gekommen war, legte er [Jesus] sich mit den Aposteln zu Tisch. Und er sagte zu ihnen: Mit großer Sehnsucht habe ich danach verlangt, vor meinem Leiden dieses Paschamahl mit euch zu essen. Denn ich sage euch: Ich werde es nicht mehr essen, bis es seine Erfüllung findet im Reich Gottes. Und er nahm einen Kelch, sprach das Dankgebet und sagte: Nehmt diesen und teilt ihn untereinander! Denn ich sage euch: Von nun an werde ich nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken, bis das Reich Gottes kommt. Und er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach es und reichte es ihnen mit den Worten: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis! Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sagte: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird. (Lk 22, 14-20)

Weil Rüsttag war und die Körper während des Sabbats nicht am Kreuz bleiben sollten, baten die Juden Pilatus, man möge den Gekreuzigten die Beine zerschlagen und ihre Leichen dann abnehmen; denn dieser Sabbat war ein großer Feiertag. Also kamen die Soldaten und zerschlugen dem ersten die Beine, dann dem andern, der mit ihm gekreuzigt worden war. Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon tot war, zerschlugen sie ihm die Beine nicht, sondern einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite, und sogleich floss Blut und Wasser heraus. (Joh 19, 31-34)

Am ersten Tag der Woche gingen die Frauen mit den wohlriechenden Salben, die sie zubereitet hatten, in aller Frühe zum Grab. Da sahen sie, dass der Stein vom Grab weggewälzt war; sie gingen hinein, aber den Leichnam Jesu, des Herrn, fanden sie nicht. Und es geschah, während sie darüber ratlos waren, siehe, da traten zwei Männer in leuchtenden Gewändern zu ihnen. Die Frauen erschraken und blickten zu Boden. Die Männer aber sagten zu ihnen: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden. Erinnert euch an das, was er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war: Der Menschensohn muss in die Hände sündiger Menschen ausgeliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen. Da erinnerten sie sich an seine Worte. Und sie kehrten vom Grab zurück und berichteten das alles den Elf und allen Übrigen. Es waren Maria von Magdala, Johanna und Maria, die Mutter des Jakobus, und die übrigen Frauen mit ihnen. Sie erzählten es den Aposteln. Doch die Apostel hielten diese Reden für Geschwätz und glaubten ihnen nicht. Petrus aber stand auf und lief zum Grab. Er beugte sich vor, sah aber nur die Leinenbinden. Dann ging er nach Hause, voll Verwunderung über das, was geschehen war. (Lk 24, 1-12)

Die Jünger Jesu sind nach Ostern zum Glauben gekommen, dass Jesus lebt. Gott hat ihn vom Tod auferweckt. Das war für sie der Beweis dafür, dass Jesus wirklich mit Gott im Bunde stand. Denn vom Tod auferwecken kann nur Gott. Nun erinnern sie sich daran, was sie mit ihm erlebt hatten und deuten rückwirkend sein Leben und seine Botschaft im Licht der Ostererfahrung. Das erste, woran sie sich natürlich erinnern, sind die Ereignisse kurz vor seinem Tod. Vor allem die letzte Woche wird ihnen in prägender Erinnerung geblieben sein: wie sie mit ihm nach Jerusalem gepilgert sind. Wie die Leute ihm mit Begeisterung hinterhergelaufen sind und ihm zugejubelt haben: „Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe!“ (Mk 11, 9f.) Und sie erinnern sich auch, wie schon ganz bald die Stimmung umgeschlagen ist. Denn Jesus kritisierte den Tempelkult. Das brachte die religiösen Führer nun endgültig gegen ihn auf. Jesus ahnte wohl, dass das kein gutes Ende mit ihm nimmt. So feierte er mit seinen Jüngern das Abendmahl und deutet mit dem gebrochenen Brot und dem Wein seinen bevorstehenden Tod an. Ob sie in diesem Moment verstanden habe, was er meinte? Wohl kaum.  Sinngemäß sagte er seinen Jüngern: „Das bin ich für euch. So wie ich dieses Brot breche und euch gebe, so gebe ich auch mein Leben. Die Botschaft der bedingungslosen Liebe Gottes ist mir so wichtig, dass ich sie nicht widerrufen kann. Denn ihr seid mir so wichtig, dass ich um euretwillen sogar meinen eigenen Tod in Kauf nehme. Denkt immer daran: Wenn ihr das Brot miteinander teilt, dann werden mein Leben, meine Botschaft, mein Sterben und meine Auferstehung in euch lebendig. Dann bin ich selber mit meiner ganzen Liebe für euch da.“ Und er trägt ihnen auf: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ – zu meinem Andenken. Und daran halten sich seine Jünger später. Im Nachhinein bekommen die letzten Tage für sie Sinn. Sie sind  einfach die Konsequenz seines Lebens, seiner Botschaft und seiner Haltung den Menschen gegenüber. Indem sie seinem Auftrag folgend nach seinem Tod miteinander das Brot brechen, erkennen sie Jesus lebendig in ihrer Mitte.

Prägend dafür war wohl die Erfahrung von zweien aus ihrer Reihe. Nach Jesu Tod haben sie nicht nur den Kopf in den Sand gesteckt, sie sind sogar völlig verzweifelt. Sie waren so begeistert von Jesus und seiner Botschaft vom Reich Gottes, dass sie Haus und Hof hatten stehen und liegen lassen und sind mit ihm ein neues Leben angefangen. Sie hatten alles auf seine Karte gesetzt. Durch ihn hatten sie darauf gehofft, dass die Liebe siegen wird über Unterdrückung, Gewalt, Willkür, Leid und Resignation. Und nun ist er tot. Es ist nicht nur, dass sie um einen Freund trauern. Sie fühlen sich verraten und verkauft. Derjenige, der am Kreuz endete, konnte unmöglich mit Gott im Bunde stehen. Mit seinem Tod hatten sie auch ihre Hoffnung begraben. Und so sind sie nun unterwegs in ein Dorf namens Emmaus. Wahrscheinlich ihre Heimat. Wo sollten sie denn sonst auch hin?

"Und siehe, am gleichen Tag waren zwei von den Jüngern auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist. Sie sprachen miteinander über all das, was sich ereignet hatte. 
Und es geschah, während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus selbst hinzu und ging mit ihnen. Doch ihre Augen waren gehalten, sodass sie ihn nicht erkannten. Er fragte sie: Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet? Da blieben sie traurig stehen und der eine von ihnen - er hieß Kleopas - antwortete ihm: Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als Einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist? Er fragte sie: Was denn? Sie antworteten ihm: Das mit Jesus aus Nazaret. Er war ein Prophet, mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk. Doch unsere Hohepriester und Führer haben ihn zum Tod verurteilen und ans Kreuz schlagen lassen. Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen werde. Und dazu ist heute schon der dritte Tag, seitdem das alles geschehen ist. Doch auch einige Frauen aus unserem Kreis haben uns in große Aufregung versetzt. Sie waren in der Frühe beim Grab, fanden aber seinen Leichnam nicht. Als sie zurückkamen, erzählten sie, es seien ihnen Engel erschienen und hätten gesagt, er lebe. Einige von uns gingen dann zum Grab und fanden alles so, wie die Frauen gesagt hatten; ihn selbst aber sahen sie nicht.
Da sagte er zu ihnen: Ihr Unverständigen, deren Herz zu träge ist, um alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben. Musste nicht der Christus das erleiden und so in seine Herrlichkeit gelangen? Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht.
So erreichten sie das Dorf, zu dem sie unterwegs waren. Jesus tat, als wolle er weitergehen, aber sie drängten ihn und sagten: Bleibe bei uns; denn es wird Abend, der Tag hat sich schon geneigt! Da ging er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben.
Und es geschah, als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach es und gab es ihnen.
Da wurden ihre Augen aufgetan und sie erkannten ihn; und er entschwand ihren Blicken. Und sie sagten zueinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schriften eröffnete?
Noch in derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück und sie fanden die Elf und die mit ihnen versammelt waren. Diese sagten: Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen. Da erzählten auch sie, was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach.“
(Lk 24, 13-35)

Die Jünger sind am Boden zerstört. Alles, worauf sie ihre Hoffnung gesetzt hatten, ist wie eine Seifenblase zerplatzt. Leere breitet sich aus. Dunkelheit, Trauer, Resignation. Noch unerkannt geht einer mit. Hört zu. Fragt nach. Nimmt Anteil. Sie können sich alles von der Seele reden. Der Fremde bringt die Erfahrung der Jünger in Verbindung mit der Heiligen Schrift. Er deutet ihr Leben im Licht des Glaubens. Etwas an diesem Fremden zieht sie an. Sie wollen ihm nahe bleiben. Warum das so ist, verstehen sie erst später. Das Herz ist manchmal schlauer als der Verstand. Ihnen gehen die Augen erst auf bei den bekannten Worten und dem bekannten Zeichen: „Er nahm das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und reichte es ihnen.“ Diese Begegnung mit IHM verändert ihr Leben. Plötzlich sehen sie alles in einem anderen Licht. Statt Leere, Dunkelheit, Trauer und Resignation: Nun Aufbruch, Wagnis, Hoffnung und Freude. Und die können sie nicht für sich behalten.

Die ersten Christen erfahren, dass sie Jesus erkennen, wenn sie einander über ihre Erlebnisse mit ihm erzählen und miteinander das Brot brechen. Darin wird für sie die Hoffnung wieder lebendig, dass die Liebe Gottes siegt über Unterdrückung, Gewalt, Willkür, Leid und Resignation. Seine Liebe siegt sogar über den Tod. Deshalb treffen sie sich zur Feier des Brotbrechens. Später entwickelte sich daraus die heilige Messe bzw. die Eucharistiefeier. In der Kommunion erfahren sie Gemeinschaft mit ihm und untereinander und bilden durch diese Feier ihre Identität aus als Jünger und Jüngerinnen Jesu, auch über die Jahrhunderte hindurch - bis heute.

Brotbrechen heute
Wenn heute der Priester während der Eucharistiefeier das Brot bricht und die gleichen Worte spricht wie Jesus damals, dann ist das kein Theaterstück, das nur an frühere Zeiten erinnert. Die Geschichte von damals lebt in der Gemeinde wieder auf. Jesus ist gegenwärtig sozusagen in einer Doppelrolle: Er selbst steht am Altar, bricht und reicht uns das Brot. Gleichzeitig schenkt er sich uns selbst im Zeichen des gebrochenen Brotes. Er wird ein Teil von uns, wie auch wir Anteil bekommen an seinem Wesen.


Unterbrechung:
Während der nächsten Eucharistiefeier kann ich mir bewusst machen:
  • Auch ich kann Jesus am Brechen des Brotes und in der Gestalt des gebrochenen Brotes erkennen. 
  • Er ist mit uns am Tisch, er schenkt sich mir. 
  • Er ist da – selbst wenn sich gefühlsmäßig in mir nichts regt.
  • Nachdem ich ihn mir in der Kommunion im wahrsten Sinne des Wortes einverleibt oder verinnerlicht habe, kann ich mich weiter in dieses Geheimnis des Glaubens hineinmeditieren und beten: „Du in mir und ich in dir.“







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