9.5 - Sünde ist von gestern

Predigt 17./18.4.2021 – 3OB

Liebe Gemeinde,

trotz aller Osterfreude zieht sich ein Wort durch alle drei Bibeltexte heute: Das Wort Sünde.
Auch viele Gebete im Gottesdienst sprechen von Sünde und Schuld. In der Osternacht besingen wir sogar die „glückliche Schuld“ und in der Eucharistie heißt es: „Das ist mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird, zur Vergebung der Sünden.“

Manche Menschen schreckt es regelrecht ab, dass in der Kirche immer die Rede ist von der Sünde. Vielleicht weil man seine eigenen Schattenseiten gerne versteckt? Vielleicht aber auch, weil man das Gefühl hat, damit ständig klein gemacht zu werden…

Und ich bin überzeugt, viele haben sich deswegen schon seit langem vom christlichen Glauben verabschiedet. Und zwar lange vor dem Bekanntwerden diverser Skandale, die eklatante Sünde innerhalb der Kirche ans Tageslicht brachten. Manche sind längst vorher gegangen. Ich vermute, sie haben die Botschaft Jesu nie wirklich kennen gelernt, sondern nur den erhobenen Zeigefinger. Jesus war der strenge Richter aller Sünder, mit dem man ihnen die Hölle heiß gemacht hatte.  

Dass Menschen immer wieder schuldig werden, ist wohl keine Frage – zumindest, wenn ich ehrlich bin mit mir selbst. Doch wie soll man das verstehen, dass durch Jesu Tod und Auferstehung die Sünde der Welt hinweggenommen ist? Wer darauf keine Antwort findet, für den bleiben Glaubensformeln hohl und leer. Ich kann gut verstehen, wenn man sich dann irgendwann von all dem lossagt.

Ich habe für mich folgende Antwort gefunden:

Das Wort „Sünde“ leitet sich ab vom altnordischen Wort sundr. Das ähnelt dem deutschen Wort „sondern“ und bedeutet auch, „trennen“ oder „aufteilen“.[1] „Sünde“ bezeichnet also die Trennung oder Absonderung des Menschen von Gott, von den Mitmenschen und letztlich von sich selbst.

Doch was verursacht diese Absonderung und Trennung? Die Bibel spricht davon, dass Gott die Liebe ist und dass der Mensch im Ursprung Abbild Gottes ist. Immer wenn ich es an Liebe fehlen lasse, entfremde ich mich als von meiner Identität, von der Art Gottes zu sein. Ich sondere mich ab von ihm und die Erfahrung lehrt: Lieblosigkeit stört auch die Beziehung zu meinen Mitmenschen.

Doch warum lasse ich es immer wieder an Liebe fehlen? Ich bin überzeugt: letztlich ist es die Angst um mich selbst. Die Angst zu kurz zu kommen. Daraus entstehen Neid, Missgunst, Geiz, Habsucht etc. Letztendlich wurzelt jede Angst in der Angst vor dem Tod. Davor haben wir Menschen ja am meisten Angst. Der endgültige Tod würde die endgültige Trennung von allem bedeuten: von mir selbst, von meinen Mitmenschen und auch von Gott. Diese Angst provoziert letzten Endes Egoismus und bringt mich dazu, es an Liebe fehlen zu lassen, zu sündigen. Das steckt ganz tief in mir drin und da komm ich allein nicht raus.

Zum Glück sind Hopfen und Malz nicht verloren. Gott selbst überwindet die Trennung. In Jesus Christus. Doch, warum sollte er das tun?

Vielleicht kann man das vergleichen mit der zwischenmenschlichen Liebe. In keiner Beziehung läuft es ja immer glatt. Manchmal herrscht sogar Sendepause. Doch wenn die Liebe groß ist, hält es irgendwann einer der beiden nicht aus und macht den ersten Schritt auf den anderen zu. Ähnlich ist es auch mit Gott.

Das Alte Testament beschreibt, dass Gott den Menschen immer wieder hinterherläuft, wenn ihr Egoismus siegt und sie sich von ihm abwenden. Ja, er umwirbt sie sogar wie ein Bräutigam seine Braut. Schließlich kommt er in Jesus Christus selbst den Menschen entgegen. Das feiern wir an Weihnachten.

Die Menschen erfahren, dass Jesus in einzigartiger Weise für sie ist. Er hat Außenseiter in den Focus gerückt, Kranke geheilt und Hoffnung vermittelt. In einzigartiger Weise hat er von Gott geredet und vermittelt: Gott ist die Liebe. Damit stellte er nicht nur das bestehende religiöse System auf den Kopf, sondern stellte auch eine andere Weltordnung in Aussicht, in der Menschen aufatmen können. Das brachte ihn in Konflikt mit dem bestehenden Establishment. Und die gingen ihm an den Kragen. Ich bin überzeugt, Jesus hätte seinen Kopf retten können. Wenn er den Mund gehalten hätte. Doch damit hätte er sich selbst verraten. Jesus hat wegen seiner Botschaft der Liebe Gottes seinen Kopf hingehalten. Und Gott hat diese Botschaft bestätigt. In Jesu Auferstehung zeigt sich, dass Gottes Liebe sogar stärker ist als der Tod. Das feiern wir an Ostern.

Wenn ich darauf vertraue, dass mir das gleiche Schicksal blüht wie Jesus, brauche ich keine Angst zu haben. Nicht vor dem Tod, nicht davor, irgendwann endgültig verloren zu sein. Ich habe allen Grund, keine Angst zu haben um mich selbst. Damit gibt es auch eigentlich keinen Grund mehr für Neid, Missgunst, Geiz, Habsucht und Lieblosigkeiten aller Art, die mich absondern. Insofern kann ich sagen: Jesus hat diese Absonderung – die Sünde der Welt – hinweggenommen.

Doch, ich bin eben nur ein Mensch – mit allen Stärken und Schwächen. Eine meiner Schwächen ist es, dass mir das völlige Vertrauen in Jesus oft schwerfällt. Deshalb werde ich bis an mein Lebensende sündigen. Das endet erst im Tod. Erst dann werden wir vollendet – von Gott.

Doch zum Glück kann ich jetzt schon immer wieder neu anfangen, also umkehren. Ich kann mich immer wieder auf Gott ausrichten und versuchen, ihn mit den Augen Jesu zu sehen. So wachse ich mehr und mehr in eine Haltung des Vertrauens hinein, in eine österliche Hoffnung.

Mich beruhig dabei, dass auch die Jünger Jesu das nicht von jetzt auf gleich konnten. Selbst sie haben lange gebraucht, um glauben und vertrauen zu können. Manche Erfahrungen muss man eben erst einmal verdauen. Und dieses Vertrauen haben sie nicht aus eigener Kraft gelernt. Gestärkt hat sie darin das gemeinsame Mahl.

Vor Jesu Tod war es prägend und auch nach seiner Auferstehung haben sie darin erfahren: Er ist immer noch bei ihnen und er ist immer noch derselbe. So wie er zum Beispiel vor seinem Tod die Sünderin nicht verteilt hat, so ist er auch nach seiner Auferstehung kein strenger Richter aller Sünder. Er steht uns als Anwalt zur Seite, selbst wenn der Egoismus überhand nimmt. So können wir in der Osternacht die „glückliche Schuld“ besingen, die ihren großen Erlöser gefunden hat.

Dieser Erlöser löst die Isolation auf. Er bewirkt Kommunion – Gemeinschaft. Und überwindet darin die Absonderung von unseren Mitmenschen, von unserer Identität und vor allem von Gott. Halten wir uns an ihn und denken daran, wenn wir seine Worte hören: „Das ist mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird, zur Vergebung der Sünden.“

(Anne-Marie Eising)



[1] [1](vgl. deutsch (ab)sondern, heutiges skandinavisch sondre und schwedisch sönder „zerbrochen“) https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCnde, 31.7.2015

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