9.1. Was heißt Christ-Sein?


Predigt 17.5.2020 – 6. Sonntag der Osterzeit


Liebe Gemeinde,

ich war eingeladen zu einem Glaubensgespräch. Es ging um das Thema „Was heißt Christ sein?“. Eine Frau aus der Runde meinte: „Mein Mann hat es zwar nicht so mit Gott und mit dem in-die-Kirche-gehen, aber ein guter Christ ist er trotzdem. Er hält sich an die 10 Gebote.“ Dass es gerade bei den ersten drei Geboten um Gott geht, hatte sie wohl nicht auf dem Schirm. Sie wollte einfach sagen: „Christ-sein heißt. Ein guter Mensch sein.“ Na, ja, meinte ich, gute Menschen gibt es auch in anderen Religionen. Selbst unter Atheisten. Außerdem: Christen sind ja längst nicht automatisch gut. Wenn sich nur gute Menschen Christen nennen dürften, dann wären es wohl nur wenige, die den Namen verdienen. Und andere, die ihn verdienten, sind womöglich gar nicht getauft.
Darauf meinte ein älterer Mann: „Als Kind habe ich gelernt: Man muss gute Taten tun und Gottes Gebote halten, damit man vor Gott gut dasteht.“ Aufgewachsen ist er mit der Angst vor dem Gericht und der Strafe Gottes. Himmel, Hölle, Fegefeuer verband er mit dem christlichen Glauben. Doch weil er nie wirklich alles hundertprozentig richtig machen konnte, hatte er ständig Angst oder ein schlechtes Gewissen. Irgendwann hatte er sich vom Glauben distanziert. Viel später erst bekam er einen neuen Bezug dazu. Erst, als er anfing, selber in der Bibel zu lesen.

Christ-sein hatte man lange Zeit gleichgestellt mit Ethik und Moral. Kein Wunder, wenn sich Menschen davon emanzipieren. Wer den Glauben nur kennengelernt hat als Verhaltenslehre, hat Jesus Christus nie wirklich kennengelernt und auch nicht die Botschaft „Gott ist die Liebe“. Papst Benedikt XVI hat gesagt: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.“[1] Und diese Person heißt Jesus Christus. Die Begegnung mit ihm und die Beziehung zu ihm machen den christlichen Glauben aus.

Das ist wie mit einer Liebesbeziehung oder einer Freundschaft zu einem Menschen. Wenn ich die pflege, dann lasse ich mich auf die Lebensweise dieses Menschen ein. Manches färbt ab. Umgang prägt. So ist es auch mit der Beziehung zu Jesus. Wenn er heute im Evangelium sagt: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten“, oder „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt“, dann meint das: Lasst euch von meiner Art zu leben inspirieren. Dann wird sich das auch auf euer Leben auswirken. 

Die Situation, in der er das seinen Jüngern sagt, ist sein Abschied. Sie sind zusammen im Abendmahlssaal. Jesus gibt ihnen quasi sein Testament mit auf den Weg. Gerade erst haben sie seine Lebensweise am eigenen Leib erfahren. Er hat ihnen ein Beispiel gegeben. Ihnen die Füße gewaschen. Sie durften ihm ihren schmutzigsten Körperteil hinhalten – ohne sich zu schämen. Wir müssen nicht perfekt sein, makellos. Selbst wenn es uns nicht gelingt, seinem Beispiel zu folgen, wäscht er uns nicht den Kopf, sondern die Füße. Es kostet uns nicht Kopf und Kragen, wenn wir versagen. Jesus steht uns zur Seite. Als unser Beistand.

Im Evangelium spricht Jesus von einem anderen Beistand. Der erste Beistand ist er selbst vor seinem Tod. Nach seinem Tod stellt er uns sein zweites Ich zur Seite: den Geist der Wahrheit. Im griechischen steht da im Evangelium Paraklet. Auf Latein heißt das Advokat. Also Anwalt. Selbst wenn es einmal ein Gericht geben sollte: Nach der Bibel ist Jesus selbst unser Anwalt und unser Richter zugleich. Er wird richten und geraderücken, was verbeult und verbogen ist.

Jesus spricht vom Geist der Wahrheit und die erste Lesung berichtet, wie die Getauften durch Petrus und Johannes den Heiligen Geist empfangen. Dieser Geist der Wahrheit wird denjenigen die Wirklichkeit Gottes erschließen, die sich dem Glauben der Apostel und dem Lebensentwurf Jesu öffnen wollen. Und diese Wahrheit oder Wirklichkeit Gottes ist der kleine Satz: „Gott ist die Liebe.“ Das zog sich durch Jesu ganzes Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen. Doch erst nach Ostern werden seine Anhänger das wirklich kapieren.

Wer sich davon berühren lässt, dass Gott die Liebe ist und wir in der Person Jesus mit Gottes Liebe zu tun bekommen, der wird auch sein Leben entsprechend gestalten – mit allen Grenzen, die dazugehören und die allzu menschlich sind.

Christen unterscheiden sich von Nichtchristen nicht dadurch, dass sie besser sind. Doch Christen haben es besser. Christ-sein heißt nicht, alle Gebote einhalten im Sinne von einzelnen Vorschriften. Wenn Jesus im Evangelium sagt: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten.“, dann meint er: Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Lebenshaltung verinnerlichen. Und das wird sich auf die Lebensweise auswirken. 

Die Gebote halten meint treu bleiben im Glauben. Und Glauben heißt: Ja sagen zu Gott, weil er schon längst Ja gesagt hat zu mir. 
Dieses Ja zu Gott kann mich auch durch Krisenzeiten tragen. Ich darf darauf vertrauen, dass er Ja zu mir gesagt hat und immer wieder Ja sagen wird – selbst am Ende meines Lebens. Ich darf darauf vertrauen, dass ich einen Beistand an meiner Seite habe. Jemanden, der für mich eintritt und der mich und alle Menschen, die sich ihm öffnen, inspiriert, im Sinne Jesu zu handeln.

Und solche Inspirierten werden im besten Sinne fragwürdig. Sie werden gefragt: "Warum tust du das?"
Warum hilfst du Geflüchteten?
Warum bist du in der Kleiderkammer aktiv?
Warum bereitest du Kinder auf die Kommunion vor?
Warum prangerst du ausbeuterische Arbeitsbedingungen an?
Und wenn du gefragt wirst „warum…?“, dann heißt Christ-Sein, stets bereit zu sein, jedem Rede und Antwort zu stehen, der dich fragt, was das für eine Hoffnung ist, die dich erfüllt.

Welche Hoffnung erfüllt Sie?
Können Sie Ihre Antwort schon in Worte fassen?
Haben Sie schon Ja gesagt zu seinem Ja?


[1] Papst Benedikt XVI, Enzyklika Deus caritas est (Gott ist die Liebe)

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