5.8. „Der Verstand verstummt beklommen, nur das Herz begreift`s allein“

Als Kind hab ich mit Inbrunst nach dem Empfang der Erstkommunion gebetet: „Danke, Jesus, dass du dich für mich so klein gemacht hast.“ Wir mussten das damals auswendig lernen. Erst viel später hab ich auch inwendig erfasst, dass es hier um das "Geheimnis des Glaubens" geht: Jesus selbst ist das Brot, das in meiner Hand liegt und das ich essen werde.

Doch wie kann ich dieses "Geheimnis des Glaubens" begreifen? Vielleicht ist das ja gerade der Sinn der Brotgestalt, dass ich ihre Bedeutung nicht mit dem Verstand begreifen kann. Ich kann einfach nur das Brot ergreifen, um dadurch von IHM ergriffen zu werden.

Mit dem Begriff "Geheimnis des Glaubens" kommt mir noch ein anderer Begriff in den Sinn, den ich nicht begreife: "Wandlung". Nachdem der Priester über Brot und Wein die Worte Jesu beim letzten Abendmahl gesprochen hat, glauben Katholiken, dass Brot nicht mehr nur Brot ist, und Wein nicht mehr nur Wein. Es sind Leib und Blut Jesu Christi. Schon die ersten Christen gerieten da für die Außenwelt in den Verdacht des Kannibalismus. Auch heute findet man immer mal wieder entsprechende lächerlich machende Kommentare darüber in sozialen Medien. 

Wie kann ich ansatzweise verstehen was ich glaube? Wie kann ich in diesen Glauben der Kirche immer tiefer hineinwachsen? Meine persönliche Antwort darauf: Zum Teil durch Bildung, vor allem aber durch Beten und durch das Feiern. Ich kann einfach nur versuchen, mich immer wieder drauf einzulassen, dass Gott mir nahekommen will - ganz unabhängig davon, ob sich das Gefühl seiner Nähe einstellt.

In den vorhergehenden Posts ging es schon darum, dass Sakramente Zeichen der Nähe Gottes sind und dass deren Symbole eine verborgene Geschichte in sich tragen, die wieder real gegenwärtig wird. Die Geschichte, die alle sakramentalen Symbole gemeinsam in sich tragen, könnte man auf einen Satz zusammenfassen: „Gott ist die Liebe und in seinem Mensch gewordenen Sohn Jesus Christus begegnet uns diese Liebe mit Haut und Haar.“

Wenn wir nun von den Symbolen Brot und Wein sagen, dass diese Leib und Blut Jesu Christi sind, dann meinen wir damit nicht, dass diese gewandelt wurden im Sinne von verzaubert. Sie sind ja noch von der Gestalt her und von den physikalischen und chemischen Eigenschaften Brot und Wein. Wenn Menschen zur Zeit Jesu von Leib und Blut sprachen, dann meinten diese Begriffe nicht nur einen Körper mit Haut, Muskeln und Knochen oder die rote Körperflüssigkeit. Mit „Leib“ meinten die Menschen damals in dem Sprachraum Jesu das, was einen Mensch ganz und gar ausmacht. Also sein Wesen. Mit „Blut“ meinten sie den Sitz der Seele. Wenn wir also davon sprechen, dass Brot und Wein in Leib und Blut Jesu gewandelt werden und dass Jesus in Brot und Wein gegenwärtig ist, dann meinen wir: das, was ihn ausgemacht hat, nehmen wir in Brot und Wein in uns auf. Er wird ein Teil von uns und die Beziehung zu ihm wird in uns lebendig.

Zwei große Theologen – einer der Gegenwart und einer des Mittelalters – drücken dies so aus: Der erste ist der früheres Papst Benedikt der XVI. Als Theologieprofessor Josef Ratzinger (* 1927) formulierte er:
„Der Herr ist nicht anwesend wie eine naturale Sache, sondern auf personale Weise und in der Zuordnung auf Personen hin […] Solches Da-sein […] bedeutet, dass es zu verstehen ist von der Weise her, in der Liebe allein anwesend sein kann als freies Sichgewähren und Sichschenken eines Ich an ein Du.“ [1]
Etwas kürzer schafft es Thomas von Aquin (* 1225, + 1274):
„Es geht nicht um […] räumliche Anwesenheit eines menschlichen Leibes, es geht um die im Zeichen ausgedrückte personale Zuwendung“. [2]

Die realisierende Gegenwart Jesu Christi in der Gestalt von Brot und Wein ist also ein Beziehungsgeschehen. Die liebende Gemeinschaft mit Jesus Christus realisiert sich in Brot und Wein und wirkt in uns. Das, was Jesus damals bewirkt hat, wirkt auch heute in uns: In ihm begegnet uns Gottes Liebe. Das kann man nicht mit den Sinnen erfassen, sondern allein im Glauben. „Nur im Glauben an Jesus als den Gesalbten Gottes, nur im Glauben an Gott, der durch ihn […] den Menschen heilvolle Gemeinschaft anbietet, werden Brot und Wein als Selbst-Gabe Jesu in ihrer neuen Bedeutung und neuen Bestimmung wahr-genommen.“[3]

Unter Wandlung verstehen wir, dass durch die Deuteworte Jesu – also die Worte, die Jesus selbst beim letzten Abendmahl gesprochen hat – eine Wesensverwandlung (Transsubstantiation), eine Bedeutungswandlung (Transsignifikation) und eine Bestimmungswandlung (Transfinalisation) geschieht. Alles drei gehört zusammen. Doch ehrlich gesagt: Das sind alles nur Erklärungsversuche. Selbst für noch so gescheite Theologen bleibt letztendlich die reale, personale und handelnde Gegenwart Christi in den Zeichen von Brot und Wein einzig und allein „Geheimnis des Glaubens“. Liebe kann man eben nicht erklären oder mit dem Verstand beweisen. Der Liebe kann man nur sein Herz öffnen. Man muss sie an sich heranlassen, sie geschehen lassen und sie wirken lassen. Sonst prallt sie an einem ab.

Das Geheimnis ausposaunen
Doch „Geheimnis“ meint nicht etwas, das verheimlicht werden soll und nur besonders Auserwählte erfahren sollen. Ganz im Gegenteil: alle sollen es erfahren. Wenn der Priester die Worte Jesu über Brot und Wein gesprochen hat, zeigt er auf die vor ihm stehenden gewandelten Gaben und sagt zur Gemeinde: Das ist das „Geheimnis des Glaubens.“ Die Gemeinde antwortet:
„Deinen Tod, o Herr, verkünden wir
und deine Auferstehung preisen wir,
bis zu kommst in Herrlichkeit.“

Ein Sprichwort sagt: „Wovon das Herz voll ist, da quillt der Mund über.“ Christ-Sein heißt: den Tod Jesu verkünden, seine Auferstehung preisen und in Wort und Tat erfahrbar machen, so lange, bis Jesus Christus wiederkommt am Ende aller Zeiten. Eine entsprechende christliche Lebensgestaltung und Ethik ist daraus nur konsequent, aber nicht das Alleinstellungsmerkmal von Christen.

Im Geheimnis daheim sein
Im Wort „Geheimnis“ steckt auch das Wort „heim“. Daheim fühle ich mich sicher und geborgen. Da leben Menschen, die mir lieb und wert sind. Da weiß ich, wo ich hingehöre. Durch den Empfang der Kommunion werde ich immer mehr in Jesus daheim. Wenn ich mit ihm durchs Leben gehe, darf ich mich sicher und geborgen fühlen. Denn wenn mir das gleiche Schicksal blüht wie ihm, dann brauche ich keine Angst zu haben - nicht mal vor dem endgültigen Tod. In ihm begegnet mir jemand, dem ich lieb und teuer bin und so darf auch er mir lieb und wert sein. In ihm weiß ich, wo ich hingehöre: zu ihm und zu seinem Gott.

Dieses Geheimnis des Glaubens kann man mit dem Verstand allein nicht ergründen. Selbst Thomas von Aquin, der große Kirchenlehrer des Mittelalters, kann im Anblick des eucharistischen Brotes wohl nur von Gottes Liebe überwältig in die Knie gehen, wenn er das Lied dichtet: 

Das Geheimnis lasst uns künden,
das uns Gott im Zeichen bot:
Jesu Leib, für unsre Sünden
hingegeben in den Tod,
Jesu Blut, in dem wir finden
Heil und Rettung aus der Not.

Von Maria uns geboren,
ward Gott Sohn uns Menschen gleich,
kam zu suchen, was verloren,
sprach das Wort vom Himmelreich,
hat den Seinen zugeschworen:
Allezeit bin ich bei euch.

Auf geheimnisvolle Weise
macht er dies Versprechen wahr;
als er in der Jünger Kreise
bei dem Osterlamme war,
gab in Brot und Wein zur Speise
sich der Herr den Seinen dar.

Gottes Wort, ins Fleisch gekommen,
wandelt durch sein Wort den Wein
und das Brot zum Mahl der Frommen,
lädt auch die Verlornen ein.
Der Verstand verstummt beklommen,
nur das Herz begreift´s allein.

Gott ist nah in diesem Zeichen:
Knieet hin und betet an.
Das Gesetz der Furcht muss weichen,
da der neue Bund begann;
Mahl der Liebe ohnegleichen:
Nehmt im Glauben teil daran.

Gott, dem Vater und dem Sohne
singe Lob, du Christenheit,
auch dem Geist auf gleichem Throne
sei der Lobgesang geweiht.
Bringet Gott im Jubeltone
Ehre, Ruhm und Herrlichkeit.
Amen.                               (Thomas von Aquin [altes GL 544])

Vielleicht geht es dir ja mit dem Geheimnis des Glaubens wie dem Thomas von Aquin: Der Verstand verstummt beklommen, nur das Herz begreift´s allein. Doch auch wenn unser Verstand zu klein ist und auch unser Herz es nicht begreift: SEINE Liebe ist größer als unser Verstand. SEIN Herz schlägt immer für uns.


Unterbrechung:
  • Meditiere oder singe das Lied, das du vielleicht von Fronleichnamsprozessionen her kennst.
  • Lies zunächst den gesamten Text in Ruhe.
  • Verharre schließlich bei einem Satz oder einem Wort, das dir jetzt gerade nahe geht.
  • Bitte IHN doch einfach im Gebet, dass ER dir dieses Geheimnis des Glaubens erschließt…


Mich tröstet, dass auch ein Bischof anscheinend sein Leben lang auf dem Weg bleibt, um in das Geheimnis des Glaubens hineinzuwachsen:
„Haben wir nicht alle schon die Erfahrung gemacht, dass die Feier der Eucharistie an uns vorbeizieht wie ein äußerliches Geschehen? Wissen wir nicht alle, dass es ein weiter Weg durch Jahre, oft auch durch Jahrzehnte unseres Lebens ist, bis wir wirklich die Erfahrung machen, in das Geheimnis der Eucharistie einzutauchen? Suchen wir nicht manchmal nach dem Erlebnishaften, dem Interessanten in der Liturgie, weil wir uns an jenes Geheimnis der Mahlgemeinschaft des gebrochenen Brotes nicht mehr wagen?“ [Bischof Homeyer (*1929, + 2010, ehem. Bischof von Hildesheim) Fasten-Hirtenbrief zur Eucharistie 2000)]

Unterbrechung:

Wage ich mich an jenes Geheimnis der Mahlgemeinschaft des gebrochenen Brotes?




[1] zitiert in Theodor Schneider: Zeichen der Nähe Gottes, Mainz, 5. Auflage 1987, 162
[2] ebd.
[3] Rudolf Pesch: Wie Jesus das Abendmahl hielt, Freiburg 1977, 108f.

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