5.14. Gottesdienst feiern in Zeiten von Corona-Versammlungsverbot

Seinen Glauben in die Hand nehmen und sich selber Hirte sein.

Nun konnten wir schon zum dritten Mal nicht in der Gemeinde den Gottesdienst miteinander feiern. Die Kirche ist zwar zum persönlichen Gebet geöffnet, doch mir fehlt etwas. Gestern habe ich es dann selbst in die Hand genommen und für mich gesorgt. Manch ein Katholik würde sagen: „Es war ne schöne Messe.“ Dabei hab ich gar keine Messe gefeiert, sondern mit meiner Mutter gemeinsam Agape am Küchentisch. Wir haben die Bibel miteinander gelesen, Brot gegessen, Wein getrunken und einander erzählt und gebetet. Damit haben wir – neben dem persönlichen Gebet – unseren Glauben selbst in die Hand genommen.

Viele Katholiken nennen ja alle Arten von Gottesdienst „Messe“ – egal ob Wort-Gottes-Feier, Andacht oder Eucharistie. Darin spiegelt sich wohl wider, dass vor allem letztere in den meisten Gemeinden die größte Rolle spielt. Dabei ist die ja noch lange nicht alles. Das zweite Vatikanische Konzil sagt: „Die Eucharistie ist Quelle und Gipfel allen christlichen Lebens.“ Quelle, weil: Sie will die Sehnsucht – den Durst – nach Gott stillen. Gipfel, weil: eine wichtigere Feier darüber hinaus gibt es nicht. Doch wenn sie die wichtigste Feier ist, dann gibt es daneben eben auch noch viele andere Formen, den Glauben zu feiern und die Verbindung mit Gott zu suchen. Ich denke an Tagzeitenliturgie wie Vesper oder Laudes, das Bibel-Teilen oder eine klassische Andacht. Leider finden die oft keine große Resonanz. Kultiviert wurde in den Gemeinden lange Jahre vorwiegend die Eucharistie. Denn solange man noch einen Priester vor Ort hat, geht das ja noch. Eine Wort-Gottes-Feier – eventuelle sogar noch von Laien geleitet, ist für viele nichts wert. Vielleicht liegt das auch an der Sonntagspflicht in der Katholischen Kirche. Mit einer Wort-Gottes-Feier hat man eben seine Pflicht nicht erfüllt und muss scheinbar ein schlechtes Gewissen haben, wenn man keine Messe feiert.

Wie gut, dass in Zeiten vom Corona-Versammlungsverbot die Sonntagspflicht erlassen ist. Als feststand, dass wir uns zur Verhinderung der Ausbreitung des Virus nicht mehr zum Gottesdienst versammeln dürfen, war das erste, was viele Bischöfe verkündet haben, dass sie alle Katholiken offiziell von der Sonntagspflicht entbinden. Als ob die in der heutigen Zeit noch eine Rolle spielt. Wer heute überhaupt noch zur Kirche geht, tut das freiwillig – aus eigenem Entschluss.

Für den Fall, dass Menschen trotz Entbindung von der Pflicht etwas fehlt, gibt es ja Fernsehgottesdienste als one-man-show. Derzeit überrollt kirchlich Interessierte in den sozialen Netzwerken eine wahre Lawine an Livestreams – viele mehr schlecht als recht. Manchmal frage ich mich: geht es den Verantwortlichen um die Stillung des Glaubenshungers der Gläubigen oder vielleicht manchmal eher um priesterlichen Aktionismus, da sich ein schlechtes Gewissen einschleicht, weil man kein alternatives seelsorgliches Corona-Krisen-Programm auf Lager hat und man sich nicht vorwerfen lassen will, nichts mehr zu tun?

Mir kommt eine Zumutung in den Sinn, den einmal ein Referent während einer Fortbildung aussprach: „Die Menschen sind sich auch selber pastores – also Hirten.“ Er wollte damit den Seelsorger*innen sagen: „Nehmt euch nicht so wichtig. In einem Trauerfall zum Beispiel seid ihr vielleicht eine Stunde zum Trauergespräch bei den Menschen, eine Stunde während der Trauerfeier und vielleicht noch mal später eine Stunde bei einem Besuch. Den Alltag aber meistern die allermeisten Menschen selbst. Da sorgen Familienangehörige füreinander und kümmern sich Freunde und Nachbarn um die Trauernden. Und oft wissen die Betroffenen selber auch ganz gut, was sie jetzt gerade brauchen und holen sich das auch. Sie sind sich selber pastores – also Hirten, die sich kümmern.“

Wenn Menschen in Trauerzeiten sich selber pastores sind, warum sollten sie es nicht auch sein können in Zeiten von Corona? In schlechten Zeiten bewährt sich, was Menschen in guten Zeiten stark gemacht hat und was ihnen im wahrsten Sinn des Wortes zugeMutet wurde. Wer in guten Zeiten beten gelernt hat, kann es auch in der Krise. Wer in guten Zeiten mit der Bibel vertraut ist, findet darin auch in schlechten Zeiten Halt. Wer in guten Zeiten unterschiedliche Spiritualitätsformen kennen gelernt hat, nimmt seinen Glauben auch in schlechten Zeiten selbst in die Hand.

Ich hab das am letzten Sonntag getan. Zuschauerin am Livestream sein oder das Wissen um stellvertretende Alleinzelebration hinter abgeschlossenen Kirchentüren nährt meinen Glauben nicht. Da ich seit zwei Jahren mit meiner 80-jährigen Mutter unter einem Dach lebe, haben wir nun miteinander Gottesdienst – Agape – gefeiert. Einen ausführlichen Ablauf dafür schlägt das Bistum Speyer auf seiner Homepage [1] vor. Wir haben es jedoch ganz einfach gehalten: Beginn mit einem kurzen, frei gesprochenen, gestammelten Gebet, in dem wir unsere Situation vor Gott ausgesprochen haben. Abschluss mit Fürbitten, dem Vater unser und einem Segenswort. Dazwischen haben wir gemeinsam das Evangelium des Tages gelesen. Es ging um die Auferweckung des toten Lazarus (Joh 11, 1-45). Wir tauschten unsere Gedanken dazu aus: Ich zitierte die beiden Schwestern Marta und Maria: „Herr, wärest du hier gewesen, so wäre mein Bruder nicht gestorben.“ (Joh 11, 21+32) und meinte: „Wie viele Menschen fühlen sich wohl gerade in diesen Tagen von Gott verlassen?“ Meine Mutter zitierte Jesus: „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.“ (Joh 11, 25f.) Dann erzählte sie von der Todesstunde meines Vaters. Schon oft hatte sie davon gesprochen. Es war für mich nicht neu. Aber nun gewann es eine neue Tiefe. Sie erzählte von der Situation in der Notaufnahme des Krankenhauses. Wie eine Schwester zu ihr sagte: „Ihr Mann stirbt jetzt.“ Wie sie ihm ihre Hand unter seine gelegt hatte. Wie sie ganz automatisch mit ihm gebetet hat. Sie beschrieb seinen Blick und wie plötzlich seine Hand von der ihren glitt. Dabei meinte sie, sei sie irgendwie innerlich ganz ruhig geworden. Als wenn sie sich getragen fühlte.

Jeden einzelnen Satz von ihr hatte ich schon oft gehörte. Aber jetzt, da wir miteinander das Evangelium – die frohe Botschaft – gelesen hatten, war das Miteinander irgendwie anders, dichter, vertrauter. Vor uns brannte die Osterkerze des vergangenen Jahres. Brot war da und zwei Gläser mit Wein. Ich brauchte gar nicht viel zu sagen. Vorbereitet hatte ich profane Worte wie: „Das Brot steht stellvertretend für den Alltag und für alles, was wir zum Leben brauchen. Der Wein ist ein Zeichen der Feier, ein Zeichen er Lebensfreude.“ Doch das war gar nicht nötig. Wir beide kennen die Zeichen von Brot und Wein. Und niemand konnte uns daran hindern, dass unsere Gedanken zu Jesus wanderten und uns seine Worte in Erinnerung kamen. Im Hören auf die Worte der Bibel, im Austausch und im gemeinsamen Essen und Trinken schwang die Hoffnung mit, die wir in der Eucharistie feiern: Die Hoffnung, dass meinem Vater – und auch uns – nach dem Tod das gleiche Schicksal blüht wie Jesus. Diese Hoffnung, wurde uns bewusst, kann uns auch in der Sorge oder manchmal auch Angst während der Corona-Epidemie tragen.

In dieser Agapefeier zu zweit waren wir uns selber pastores – wenngleich wir die Feier der Eucharistie vermissen. Doch dieses Liebesmahl – nichts anderes ist die Gottesdienstform der Agape – hält in uns die Sehnsucht wach nach der Eucharistiefeier – gemeinsam mit der Gemeinde unter Leitung des Priesters (und vielleicht auch irgendwann der Priesterin).




[1] https://www.bistum-speyer.de/fileadmin/user_upload/1-0-0/Hauptabteilung_I/Downloads/Ökumene/Agapefeier.pdf

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