4.9. Entstehung des Gottesdienstes


Die Art und Weise, wie wir heute Gottesdienst feiern, ist eng verbunden mit der Feier des jüdischen Synagogengottesdienstes. Dieser Wortgottesdienst entstand als Alternative zum Opferkult im Tempel. Der Tempel in Jerusalem als religiöses Identifikationszentrum des Volkes Israel wurde während der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier im Jahr 586 v. Chr. zerstört und große Teile der Bevölkerung nach Babylon verschleppt. Fern der Heimat gerieten die Verschleppten in Gefahr, ihre Identität zu verlieren. Sie vergaßen, wer ihr Gott ist, der sie schon einmal aus der Gefangenschaft aus Ägypten befreit hatte – so, ihre rückblickende Deutung.

Damals – nach der Befreiung aus Ägypten – zogen sie mit der Bundeslade vierzig Jahre durch die Wüste. In der Lade waren die Steintafeln mit den Zehn Geboten aufbewahrt. Das waren die Garanten ihrer Freiheit, die Symbole des Bundes, den Gott mit ihnen geschlossen hatte. Darin verehrten sie die Gegenwart ihres Gottes – des „Ich bin da“. Angekommen im gelobten Land bauten sie einen Tempel, dessen Heiligtum eben diese Bundeslade mit den Geboten war. In diesem Tempel wurden Gott Opfer dargebracht. Speisen und geschlachtete Tiere wurden rituell verbrannt. Ähnlich wie die Opferriten anderer Kulturen damals.

Dieser Opferkult war nun nach der Zerstörung des Tempels nicht mehr möglich. Um ihre Identität – die Zugehörigkeit zum Gott „Ich bin da“– zu bewahren und vor allem, um die Hoffnung auf erneute Befreiung aufrecht zu erhalten, entwickelte sich der Synagogengottesdienst als Wortgottesdienst -  verbunden mit Liedern und Gebeten, zum Beispiel den Psalmen. Vor allem wurde aus den ersten Schriften der Bibel vorgelesen. Sie erinnern immer wieder an die Befreiung aus Ägypten und ermahnen das Volk Israel aus dieser Erfahrung heraus zu leben und im Alltag dafür zu sorgen, dass sie ihre Freiheit – auch die innere Freiheit – bewahren. Das gelingt, wenn sie nach der Weisung Gottes leben. Doch an erster Stelle steht immer zunächst die frohe Botschaft, dass Gott für die Menschen da ist, erst danach folgt der Anspruch, seine Gebote zu befolgen.

Auch für Jesus steht an erster Stelle die befreiende Botschaft. Das lehrt er sozusagen bei seiner Antrittspredigt in seiner Heimat-Synagoge in Nazareth. Den Synagogengottesdienst hat das Volk Israel nach der Rückkehr aus dem Exil beibehalten, obwohl später der Tempel wieder aufgebaut wurde. Die Synagoge diente als Schule, Versammlungsort und eben auch als Gottesdienstort, um die heiligen Schriften zu hören und auszulegen. Dies durfte jeder männliche Jude nach der Bar Mizzwa – dem Initiationsritus, mit dem jüdische Jugendliche religionsmündig werden. Diese Aufgabe, aus den heiligen Schriften zu lesen und diese auszulegen, kam auch Jesus zu als er zu Beginn seines öffentlichen Auftretens in Nazareth den Synagogengottesdienst mitfeierte:

"In jener Zeit kam Jesus auch nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge. Als er aufstand, um vorzulesen, reichte man ihm die Buchrolle des Propheten Jesaja. Er öffnete sie und fand die Stelle, wo geschrieben steht: 
Der Geist des Herrn ruht auf mir; 
denn der Herr hat mich gesalbt.
Er hat mich gesandt,
damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe;
damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde
und den Blinden das Augenlicht;
damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze
und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.

Dann schloss er die Buchrolle, gab es dem Synagogendiener und setzte sich. Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. Da begann er, ihnen darzulegen: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.“ (Lk 4,16-21)

Der Text, den Jesus vorgelesen hatte, ist entstanden, nachdem die Verschleppten aus Babylon zurück in Israel waren. Der Tempel wurde wieder aufgebaut, es ging bergauf. Doch die sozialen Gegensätze verschärften sich, die Schere zwischen Arme und Reiche wurde größer und die Solidarität ließ nach. Das ist die Zeit der Propheten. Unter Lebensgefahr prangern sie Missstände in der Gesellschaft und im religiösen Leben an. Der Prophet Jesaja verkündet den sozial Schwachen, dass ein Gesandter Gottes – der von Gott Gesalbte [hebr.: Messias / griech.: Christos] – ihnen zum Recht verhelfen und sie aus ihrer Situation befreien werde. Im o.g. Bibeltext nimmt Jesus nun für sich in Anspruch, dass er dieser Gesandte ist. Er ist der Messias. Er ist der Christus.

Unterbrechung

Lies den Bibeltext noch einmal in Ruhe. Gerne auch wieder so, dass du dir die Situation wie in einem Film vorstellen kannst.

Stell dir vor, Du sitzt in der Synagoge und hörst den Schrifttext, den Jesus gerade vorliest.

Stellen sich dir Fragen oder regt sich innerer Widerstand?

Was ist die gute Nachricht, die dich jetzt im Moment anspricht?

Gibt es ein anderes Wort aus der Bibel, das dir Mut macht?
Was würdest du Menschen antworten, die dich fragen: „Was ist für dich die gute Nachricht aus der Bibel?“ 




Kommentare