9.8. Manches muss man eben dreimal sagen: "Der Friede sei mit euch"
Predigt CO2-23./24.4.2022
Joh 20, 19-31
Liebe
Gemeinde,
die
Erfahrung lehrt: alle guten Dinge sind drei! Und manchmal muss man etwas
dreimal sagen, eh andere es kapieren. Der Auferstandene Jesus sagt den Jüngern
dreimal: „Der Friede sei mit euch!“
Doch ich
frage mich: Wie weit ist es denn her mit dem Frieden? Nachbarn sind sich nicht
grün, in Schulen und Betrieben wird gemobbt und nicht nur in der Ukraine
bringen Bomben die Hölle auf Erden.
Ich sehe die
Realität und frage mich: Sind die Worte der Bibel alle nur fromme Soße? Die letzten
2000 Jahre haben ja gezeigt: Christen leben alles andere als im Frieden. Sie
verursachen sogar oftmals Unfrieden oder leiden darunter.
Und dennoch:
In diese reale Welt hinein wird uns heute in jedem Gottesdienst, und heute im Evangelium
besonders, zugesagt: „Der Friede sei mit euch!“ Was soll ich von diesem
Evangelium halten? Ist es wirklich eine gute Nachricht? Trotz allem? Oder sollte
es nur der hilflose Versuch sein, mir im Gottesdienst ein paar schöne Gedanken
abzuholen, um der bitteren Realität einen Moment lang zu entfliehen? Wenigstens
für eine Stunde lang heile Welt?
Nun, mit
Weltflucht hat der Gottesdienst nichts zu tun. Schließlich werden wir am Schluss
in die Welt gesandt mit den Worten: „Gehet hin in Frieden.“ Der Friede,
den Jesus wünscht, ist Zuspruch und Auftrag an uns zugleich.
Als er den
Jüngern, die sich hinter den Türen verrammelt hatten, den Frieden zum ersten
Mal zuspricht, zeigt er ihnen seine Wunden als Beweis, dass er es ist; dass der
Gekreuzigte und Gestorbene lebt. Die Jünger, so wird berichtet, freuen sich,
als sie ihn sehen. Mehr passiert nicht. Die Auferstehung bewirkt bei ihnen
bestenfalls schöne Gefühle. Sie hat noch keine Auswirkung auf ihr Leben.
Jesus
versucht es zum zweiten Mal: „Der Friede sei mit euch!“ Nun verbindet er
seinen Zuspruch mit den Worten: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende
ich euch. … Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr
sie behaltet, sind sie behalten.“ Der Friede den Jesus zusagt und zu dem er
aussendet, geht einher mit dem Auftrag, Sünden zu erlassen. Wahrer Friede ist
nur möglich, wenn Vergebung geschieht. Er sendet seine Jünger, Frieden durch
Vergebung in die Welt zu tragen. Dazu sind Christen also gesandt. Alle
Christen.
Bei diesem Frieden durch Vergebung geht es nicht um gegenseitige Versöhnung zweier Parteien. Denn die ist manchmal gar nicht mehr möglich. Vielleicht ist der Kontakt abgebrochen oder derjenige, der mir Leid zugefügt hat, lebt nicht mehr. Vielleicht sieht er seine Schuld auch nicht einmal ein. Sünden erlassen meint zunächst einseitige Vergebung.
Wenn ich in
meinem Herzen voller Groll bin, weil mir jemand zu kurz getan hat, finde ich
keinen inneren Frieden. Bei nächster Gelegenheit versuche ich, mich zu
revanchieren, dem anderen hintenrum eins reinzuwürgen. Inneren Frieden finde
ich nur, wenn ich es schaffe, dem anderen nichts mehr nachzutragen. Die innere
Gelassenheit, die daraus erwächst, kann vielleicht die Spirale der Gewalt
durchbrechen.
Doch bis
dahin ist es ein langer Weg. Das geht nicht ohne, dass ich meinen Schmerz wahrnehmen
und zulassen muss und auch meine Wut über denjenigen, der mich verletzt hat.
Erst nach und nach kann ich versuchen, mich in den anderen hineinzuversetzen: „Warum
hat er oder sie so gehandelt? Was hat die Person vielleicht selbst erlitten,
dass sie so geworden ist, wie sie ist?“
Das alles soll
keine billige Entschuldigung sein. Nur eine Verstehenshilfe. Denn erst danach werde
ich vielleicht in der Lage sein, dem anderen zu vergeben – auch einseitig. Wenn
ich es dem anderen nicht mehr nachtrage, werde ich selbst befreit. Der andere
merkt vielleicht gar nichts davon. Aber ich werde innerlich frei und kann
wieder in Frieden mit mir leben.
Wenn Jesus
uns dazu aufruft, Sünden zu erlassen, dann erwartet er nicht, dass wir das aus
eigener Kraft schaffen. Er gibt uns seinen Beistand. Den Heiligen Geist. Schon zu
Ostern haucht Jesus die Jünger an und sagt: „Empfangt den Heiligen Geist.“
Das hebräische Wort für „Geist“ bedeutet so viel wie „bewegte Luft“, „Windhauch“
oder „Atem“.
Wenn Jesus
seine Jünger anhaucht, dann erinnert das an den Schöpfungsbericht. Gott
erschafft den Menschen und bläst in seine Nase den Lebensatem, auf dass er zu
einem lebendigen Wesen werde. Die göttliche Mund-zu-Mund-Beatmung schafft etwas
Neues. Jesu Hauch macht Neuanfang möglich. Wenn ich durch seine Kraft vergeben
kann, kann ich selbst wieder aufleben und andere durch mich.
Doch die
Jünger zeigen noch keine Regung. Auch beim zweiten „Friede sei mit euch.“, keine
Reaktion. Ganz im Gegenteil. Eine Woche später haben sie sich wieder
eingeschlossen – oder vielleicht immer noch? Immer noch Angst, rauszugehen und
Jesu Auftrag zu folgen.
Jesus versucht
es ein drittes Mal. Jetzt ist Thomas dabei. Doch so ungläubig, wie oft gedacht,
ist der gar nicht. Im Gegensatz zu den anderen Jüngern zeigt Thomas Resonanz. Bei
ihm kommt was in Bewegung. Dafür braucht er nicht mal mehr den Beweis, dass er die
Wundmale Jesu berühren darf. Allein durch die Begegnung mit ihm bekennt er: „Mein
Herr und mein Gott.“
Die Christen
der Antike hat diese Anrede bestimmt daran erinnert, dass auch der römische
Kaiser Domitian (81-96 n.Chr.) sich so anreden ließ. Da stellt sich die Frage: Wen
erkenne ich an als Herrn über mein Leben? Wem vertraue ich letztendlich mein
Leben an?
Wenn ich mir
so manche weltlichen Herrscher heute ansehe, in ihren Palästen, zum Beispiel in
Moskau, dann frage ich mich: Wäre ihnen diese Anrede auch ganz recht? Auch ich muss
mich heute entscheiden: Wen erkenne ich an als meinen Herrn und Gott? Wer
bringt mir Tod? Wer bringt mir Leben? Wer bringt Krieg? Wer Frieden? Inneren
Frieden werde ich wohl nur finden, wenn ich mir Thomas zum Vorbild nehme: Wenn
ich anerkenne, dass Jesus Christus der Herr meines Lebens ist. Wenn ich letztlich
nur IHM mein Leben anvertraue.
Und das ist
es, was uns Christen ausmacht: die Entscheidung für IHN und der Glaube, dass
Gott Jesus vom Tod erlöst hat und damit auch uns. Dabei geht es nicht um
Wunderglauben, Sensationslust oder gar das flüchtige Gefühl einer heilen Welt.
Es geht darum, IHM zu vertrauen, dass er mir immer wieder Neuanfang möglich
macht; mir die Kraft zur Vergebung schenkt, die in mir Frieden schafft. Dann
lebe ich neu auf. Ostern eben. Und das feiern wir noch bis Pfingsten.
Wichtige
Dinge muss man eben immer wieder hören, bis sie vom Kopf ins Herz rutschen und
Hand und Fuß bekommen. Alle guten Dinge sind drei: „Der Friede sei mit euch.
Im Namen des dreieinen Gottes: Des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen.“
Anne-Marie Eising, Pastoralreferentin
St. Mariä Himmelfahrt, Ahaus
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