9.6 Meine Hand ausstrecken nach Jesus

 

Predigt 13. So. JK B – 26./27.6.2021

Ev.: Mk 5, 25-34 – Heilung einer Frau, die seit 12 Jahren an Dauerblutungen leidet 

Viele Menschen folgten Jesus und drängten sich um ihn. 25 Darunter war eine Frau, die schon zwölf Jahre an Blutfluss litt. 26 Sie war von vielen Ärzten behandelt worden und hatte dabei sehr zu leiden; ihr ganzes Vermögen hatte sie ausgegeben, aber es hatte ihr nichts genutzt, sondern ihr Zustand war immer schlimmer geworden. 27 Sie hatte von Jesus gehört. Nun drängte sie sich in der Menge von hinten heran und berührte sein Gewand. 28 Denn sie sagte sich: Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt. 29 Und sofort versiegte die Quelle des Blutes und sie spürte in ihrem Leib, dass sie von ihrem Leiden geheilt war. 30 Im selben Augenblick fühlte Jesus, dass eine Kraft von ihm ausströmte, und er wandte sich in dem Gedränge um und fragte: Wer hat mein Gewand berührt? 31 Seine Jünger sagten zu ihm: Du siehst doch, wie sich die Leute um dich drängen, und da fragst du: Wer hat mich berührt? 32 Er blickte umher, um zu sehen, wer es getan hatte. 33 Da kam die Frau, zitternd vor Furcht, weil sie wusste, was mit ihr geschehen war; sie fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. 34 Er aber sagte zu ihr: Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden! Du sollst von deinem Leiden geheilt sein.

Liebe Gemeinde,

ob von der Kleidung Jesu wirklich Wunderkraft ausging? Sein Gewand berühren und prompt wird die Frau gesund… Das klingt ja fast wie Zauberei. Wer glaubt denn heute noch daran, dass ein Stoff magische Kräfte hätte…

Doch der Glaube an Magie scheint sich im Volksglauben durch die Jahrhunderte hindurchzuziehen. Menschen strömen zu Orten, an denen Reliquien verehrt werden oder wundertätige Gegenstände.

Stadtlohn zum Beispiel war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts einer der größten Wallfahrtsorte im Bistum. Bis das Madonnenbild gestohlen wurde, dem Wunderkräfte nachgesagt wurden. Die Wallfahrtskapelle auf dem Hilgenberg gibt es heute noch. Auch ein neues Marienbild. Doch ohne Wunderkräfte. Einfach so zum Beten kommen nur noch wenige. Die Menschen waren wohl doch eher von Magie in den Bann gezogen als von Jesus Christus.

Die Wallfahrt an sich hat ja etwas Gutes. Besondere Ort, zu denen ich mich äußerlich auf den Weg mache, helfen, mich auch innerlich Jesus zuzuwenden. Und wenn Menschen sich dort zusammenfinden, fühlen sie sich im Glauben nicht allein. Gemeinschaft kann heilend wirken. Doch wenn ich mein Heil abhängig mache von toten Gegenständen, und nicht von meiner lebendigen Beziehung zu Jesus Christus, dann ist das Magie und Esoterik, aber kein christlicher Glaube.

Doch woher kommt eigentlich die Verehrung der Reliquien?
Im Anfang feierten die Christen auf den Gräbern der Verstorbenen die Eucharistie. Also Tod und Auferstehung Jesu und Hoffnung, auch über unseren Tod hinaus. die Gemeinschaft mit den Lebenden der Gemeinde bleibt auch nach dem Tod bestehen. 

Bald schon glaubte man, dass Märtyrer und Heilige bei der Auferstehung besonders gute Karten hätten. So verehrte man deren Gräber und baute Kirchen darüber. Natürlich wollten viele Gläubige selbst in der Nähe dieser Heiligen begraben werden. Als wenn man sich dann dem Himmel schon ein Stück gewisser sein könnte. Daraus entwickelte sich der Brauch, die Reliquien der Märtyrer an andere Kirchen abzugeben. Nach dem Motto: "Wo ein Teil ist, ist das Ganze." Es entstand eine regelrechte Leichenfledderei. Man hat einfach ein Stück vom toten Heiligen in jede Kirche verteilt – als Reliquie im Altar.

Irgendwann wurden nicht nur die Leichenteile verehrt, sondern auch Gebrauchsgegenstände, die die Heiligen benutz hatten. Man glaubte, sie hätten magische Kraft. Es wäre ja auch zu schön, etwas in der Hand zu haben, über das man verfügen kann. Das alles so macht, wie man es selber gerne hätte. Quasi ein Talisman als Heilmittel und Lebensversicherung. [1]

Natürlich gehört dazu auch Opfer bringen. Man müsse schon was dafür tun, wenn Gott etwas für einen tun soll. Also viel beten, Kerzen anzünden, gute Werke tun und, und, und. Nur durch Gegenleistung, glauben auch heute viele Menschen, könne man etwas von Gott erwarten. Man schreibt Gott eben ganz menschliche Eigenschaften zu.

Die Frau im Evangelium, die seit 12 Jahren an Dauerblutungen leidet, macht in ihrer Begegnung mit Jesus ganz andere Erfahrungen.

Opfer bringen kennt sie. Sie hat ihr ganzes Vermögen geopfert, um geheilt zu werden. Doch nichts nützt. Ganz im Gegenteil: Sie wurde gerade krank, weil sie sich selbst förmlich aufgeopfert hat.

Ihre Dauerblutung kann man noch in einem tieferen Sinn verstehen, als nur die körperliche Erkrankung, die an sich ja schon völlig auslaugt. Ständiger Blutverlust schwächt einen Menschen. Das ist klar. Doch im Sprachverständnis damals war Blut der Sitz der Seele. Die Blutung könnte man sinnbildlich verstehen. Die Frau hat sich jahrelang selbst verloren. Damit spiegelt sie Menschen wider, die nach menschlicher Anerkennung suchen und dabei sich selbst verbiegen. Sich anpassen und verausgaben, um Anerkennung und Zuwendung zu bekommen. Dabei gibt die Frau förmlich ihr ganzes Herzblut, ihre Kraft, ihre Vitalität und wird immer schwächer dabei. Sie gibt viel, weil sie viel braucht. Aber sie bekommt nie, was sie braucht. Letztlich geht sie leer aus. Blutet aus.

Der Wendepunkt tritt ein, als sie ihr Geben aufgibt und sich stattdessen den Zipfel von Jesu Gewand nimmt. Sie nimmt sich, was sie braucht: Nähe, Zugehörigkeit, die Beziehung, die Jesus zu Gott hat. Als sie sich das Entscheidende nimmt, hört die Blutung auf.

Doch damit ist die Heilung noch nicht abgeschlossen. Nun nimmt Jesus Beziehung zu ihr auf und sie kann ihm ihre ganze Wahrheit sagen. Sie bringt es fertig, ihm von ihrem Leid zu erzählen, ihm alles zu sagen, was sie bewegt. Die Kraft, die von Jesus ausging, macht ihr Mut, dass sie sich öffnen kann, ohne Angst, zurückgewiesen zu werden. Und nun bestätigt Jesus ihr, dass sie geheilt ist.[2]

Ihr Glaube und die Beziehungsaufnahme zu Jesus haben ihre Seele gesund gemacht – nicht der Stoff seines Gewandes.

In der Begegnung mit Jesus hat sie einen magischen Glauben überwunden, der versucht, durch bestimmte Dinge oder Praktiken Gott für die eigenen Ziele zu beeinflussen. Denn christlicher Glaube setzt auf die Begegnung mit Christus. Gott ist und bleibt für uns unverfügbar. Doch er schenkt sich uns in Christus ganz und gar.

Wallfahrten nach Kevelaer und Eggerode sind gut. Doch nicht die Kerzen bewirken Heilung, sondern die Beziehung zu Jesus, zu dem ich mich innerlich auf den Weg mache. Wenn ich mich von ihm in den Bann ziehen lasse, werde ich unabhängig von falschen Abhängigkeiten, die mich ausbluten lassen.

Mich von Jesus in den Bann ziehen lassen, meine Hand nach ihm ausstrecken, das kann ich im Gebet und in der Kommunion. Beten geht mit und ohne Worte. Entscheidend ist, dass ich mich ganz bewusst IHM zuwende.

Mit Worten kann ich beten, indem ich ihm meine ganze Wahrheit sage. Wenn ich ihm offen und ehrlich sage, wie es um mich steht – ohne ihm vorzuschlagen, was er denn für mich tun soll.

Beten geht aber auch ohne Worte. Zum Beispiel im Gebet der Sammlung, das künftig jeden Montagabend in der Bartholomäus-Kirche stattfindet. Ich muss nichts leisten. Gott ist da und ich bin da. Das genügt. Nicht ich leiste ein Gebet ab, das ich ihm schulden würde, sondern er schenkt sich mir im schweigenden Da-Sein seiner Gegenwart. Im Gebet der Sammlung erkenne ich an, dass ich nichts tun kann und nichts tun muss. Ich vertraue darauf, dass Gott die Liebe ist und dass er sich mir in Liebe schenkt.

Das ist wie bei der Kommunion: Ich darf meine leere Hand nach ihm ausstrecken. Er gibt sich mir in meine Hand. Darin will er mir zu Herzen gehen. So wird mein Leben von ihm erfüllt. Amen.



[1] Vgl. Hubertus Halbfas, Das Christentum, Patmos 2004 S. 514-527 

[2] Vgl. auch: A. Grün, Das große Buch der Evangelien, S. 223-224

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