9.7. Die Freude am Herrn ist unsere Stärke - auch wenn sich die Kirche selbst abschafft

 

Predigt vom 3. Sonntag im Jahreskreis C – 23.1.2022

anlässlich meines Dienstantritts in den Pfarreien

Mariä Himmelfahrt, Ahaus und Mariä Himmelfahrt, Alstätte/Ottenstein

Lesung: Neh 8,2-4a.5-6.8-10 - Evangelium: Lk 1, 1-4;4,14-21

 Liebe Gemeinde,

wenn ich mich Ihnen heute vorstelle als neue Pastoralreferentin, dann tu ich das in einer Situation, in der viele die Grundfeste der Kirche endgültig erschüttert sehen. 

Wieder einmal ist ein neues Missbrauchsgutachten veröffentlicht worden, das wieder einmal schreckliche Verbrechen bestätigt. Wieder einmal ist klar geworden, dass diese Taten vertuscht wurden, weil das Ansehen der Kirche wichtiger war als das Wohl der Betroffenen.
Jetzt beschönigt der emeritierte Papst Benedikt Missbrauchstaten. Er bestreitet sogar, davon gewusst zu haben, dass in seinem Bistum ein Täter wieder in einer Gemeinde eingesetzt wurde. Die Aktenlage lässt das bezweifeln. Die Frage steht im Raum: Hat nun sogar ein Papst gelogen?

Gerade wer sich heute noch mit Kirche und Glauben verbunden fühlt, muss doch spätestens jetzt verzweifeln. Da kann man doch kaum noch glauben, dass sich wirklich mal was ändert. Und manch einer fühlt sich in den Grundfesten seines Glaubens tief erschüttert.  

Doch zum Glück sind nicht die Bischöfe und nicht einmal der Papst das Fundament meines Glaubens. Denn dann stände ich heute nicht hier. Dann hätte ich vor 20 Jahren nicht meinen Beruf gewechselt. Das Fundament der Kirche ist Jesus Christus. Und meinen Glauben verdanke ich meinen Eltern, nicht einer Institution. 

Aufgewachsen bin ich in Hamm. Nach dem Abi wurde ich Sozialversicherungsfachangestellte und hab 13 Jahre bei einer Krankenkasse gearbeitet. Bei meinen Kollegen galt ich als Exotin. Ich bin jeden Sonntag zur Kirche gegangen, das war vor 30 Jahren schon nicht selbstverständlich. Und mit Anfang 30 war mir klar: Ich will mehr wissen, was ich glaube. Leider fand ich dazu in der Gemeinde damals kaum Angebote. Durch Zufall entdeckte ich Theologie im Fernkurs. Nach und nach merkte ich: da will ich was draus machen und wurde Pastoralreferentin. Als das meine Kollegen bei der Krankenkasse hörten, meinte eine: „Wie, du willst bei der Kirche arbeiten?“ Die hatte schon im Jahr 2001 bei ihr keinen guten Ruf. 

Trotzdem begann ich in Datteln die praxisbegleitende Ausbildung. Ohne meinen Ausbildungspfarrer Hans Overkämping stände ich heute nicht hier. Ein authentischer Vertreter des Glaubens – mit beiden Beinen auf dem Boden, den Blick zum Himmel und das Herz bei den Menschen. Und ich merkte: Meine Entscheidung war richtig. Es folgten 11 Monate in Rosendahl und 11 Jahre in Stadtlohn. Dort hat das kollegiale Miteinander meine Entscheidung bekräftigt. Nach Laer gewechselt bin ich, nachdem mein Vater vor fünf Jahren starb. Meine Eltern lebten dort zuletzt und ich nutzte die Gelegenheit, Beruf und meine nun 83-jährige Mutter unter einen Hut zu bringen. Deshalb werde ich auch jetzt weiterhin in Laer wohnen bleiben. In der Gemeinde dort ist das Seelsorgeteam sehr gut besetzt. Und mich reizt die neue Aufgabe im künftigen pastoralen Raum Ahaus. 

Meine Arbeitsschwerpunkte werden vor allem die Glaubensvertiefung für Erwachsene sein und die Begleitung von ehrenamtlich Engagierten, zum Beispiel in der Katechese und Liturgie. In Alstätte und Ottenstein werde ich zudem die Erstkommunionvorbereitung begleiten.

Kinder und Jugendliche auf die Sakramente vorbereiten, finde ich wichtig. Ein Herzensanliegen ist es mir, auch Erwachsenen Angebote zu machen, sich mit ihrem Glauben auseinander zu setzen. Denn ich bin überzeugt, nur so wird der Glaube Bestand haben. Nur wenn wir uns gemeinsam immer wieder auf Christus zurückbinden, wird es wirkliche Reformen in der Kirche geben. Neuanfänge, Veränderungen zum Guten, sind in der Vergangenheit selten von der Institution ausgegangen, sondern eher von selbstbewussten Gläubigen, von mündigen Christen. 

Vor einem Neuanfang standen auch die Menschen in der Lesung. Sie sind zurück aus dem Exil in Babylon. Dahin wurden sie verschleppt und der Tempel in Jerusalem zerstört. Jahre später kommen nun die Perser an die Macht und sie könne zurück in die Heimat. Dort steht kein Stein mehr auf dem anderen. Alles Chaos. Sie brauchen wieder ein Fundament, das trägt. Nicht nur für die Häuser. Auch für ihr Leben. 

Darum wird ihnen feierlich vorgelesen, was ihre Vorfahren mit Gott erlebt hatten. So, wie wir das heute noch tun – jetzt im Gottesdienst: in der Lesung und im Evangelium.

Und das Wort Gottes zeigt Wirkung: Ihnen kommen die Tränen. Vielleicht aus Trauer über Vergangenes. Vielleicht weinen sie auch vor aus Wut über das viele Leid. Oder einfach nur aus Erleichterung, dass jetzt wieder Hoffnung in Sicht ist. Eins zeigen die Tränen auf jeden Fall: Das Wort Gottes geht ihnen unter die Haut. Sie nehmen es sich zu Herzen.

Im Nachhinein erkennen sie: das Desaster der Verbannung war ihre eigene Schuld. Sie hatten sich von ihrem Gott abgewendet. Den Bund mit ihm gebrochen. Den hatte er am Berg Sinai mit ihnen geschlossen. Das war, nachdem er sie zum ersten Mal befreit hatte aus Not und Unterdrückung in Ägypten. Sein Bundesangebot heißt: „Wenn ihr eure Freiheit bewahren wollt, dann werdet ihr die Verbindung mit mir aufrechterhalten, mit mir im Bunde stehen, also in meinem Sinn handeln und meine Gebote halten.“ Jetzt, nach der Rückkehr aus dem Exil in Babylon, sind sie wieder in der gleichen Lage. Und sie besinnen sich auf ihr Fundament: Auf den Bund Gottes, seine Weisung, die zehn Gebote. Am Ende gilt die Zusage: „Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke.“ 

Christen haben von Anfang an Jesus Christus als ihren Herrn bezeichnet. Als Bekenntnis, dass er mit Gott im Bunde steht. Jesus nimmt heute im Evangelium für sich in Anspruch, dass wir darauf bauen können, dass sich in ihm das Schriftwort erfüllt. Dass durch ihn zum Beispiel die Zerschlagenen in Freiheit gesetzt werden. Etwa Menschen in seelischer Not, die vom Missbrauch ihr Leben lang gefangen genommen sind.

Doch Christsein heißt nicht, nur irgendwie auf Jesus zu hoffen; dass er schon alles gut machen wird und ich mich raushalten kann. Christsein heißt: In seinem Sinn handeln. Darin können uns die Sakramente stärken. Die Zeichen der Liebe Gottes.

Die Kirche nimmt für sich in Anspruch, dass sie Zeichen und Werkzeug der innigsten Vereinigung ist zwischen Gott und Mensch. Dass in ihr erfahrbar wird, ablesbar ist, dass Gott nur eines für die Menschen will: gelingendes Leben.

Doch wie können Menschen dies durch die Kirche erfahren, angesichts von systemgestütztem Vertuschen? Wenn man nicht den Eindruck hat, dass sich die Verantwortlichen vom Gesetz Gottes wirklich ansprechen lassen? Dass ihnen nicht die Tränen kommen aus wirklicher Reue? Ich kann Tränen, die einen Neuanfang möglich machen, weil sie zu einer wirklichen inneren Umkehr bereit sind, bei vielen Verantwortungsträgern an der Spitze der Kirche nicht wirklich erkennen.

Doch wenn es keine Umkehr gibt, keinen Neuanfang, keine wirklichen Reformen, ist die Kirche kein Zeichen und Werkzeug für die Liebe Gottes. Dann schafft sie sich in ihrer sakramentalen Verfasstheit selbst ab.

Für viele ist das zum Weglaufen. Was mich hält, ist die Zusage der Lesung: „Die Freude am Herrn ist eure Stärke.“ Und worauf es ankommt, das sind die einzelnen Christen. Sie und ich. Wir sind selbst für unseren Glauben verantwortlich. Das ist manchmal anstrengend. Doch es befreit aus der Abhängigkeit von der Hierarchie. Uns bleibt die Zusage: „Die Freude am Herrn ist unsere Stärke.“ Und mit dieser Freude fange ich nun hier im Raum Ahaus meinen Dienst an. Amen.

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